Dienstag, 6. März 2012

Vom Titan zu Dr. Kahn? Oliver greift nach dem nächsten Titel

Nachdem wir auf unserer Facebook-Seite unter der Woche den Ausraster von Mario Basler diskutierten widmen wir uns dieser Woche dem "Anti-Basler", nämlich Oliver Kahn. Viele haben den Titan für seine Paraden und Sprüche wie "Eier, wir brauchen Eier" in Erinnerung, und es waren einige glorreiche Sprüche dabei:



Doch Kahn war schon immer ein besonderer Fußballer, allerdings nicht wegen seiner fußballerischen Fähigkeiten (die nicht vorhanden waren bei "Mr-Ich-bolze-den-Rückpass-immer-lang-und-zu-70%-ins-Seitenaus), sondern wegen seinem Intellekt. Rudelbildung beschäftigt sich heute mit dem Studenten Kahn.

Vor 4 Jahren beendete Kahn seine eindrucksvolle Karriere. 8 mal deutscher Meister, 6 mal DFB-Pokalsieger, 6 Erfolge im Ligapokal, dazu Champions- und Weltpokal-Sieger 2001- eine eindrucksvolle Bilanz, die Oliver beim FC Bayern vorzuweisen hatte. Auch in der Nationalmannschaft überzeugte der Titan, wo er 1996 als Ersatzmann die Europameisterschaft gewann und bei der WM 2002 der Garant für den Finaleinzug der deutschen Nationalmannschaft war. Völlig zu recht wurde kann hier zum Spieler des Turniers gewählt, als erster Torwart überhaupt. Hier ein kleiner Rückblick, Best of Kahn.



Auch der persönliche sportliche Erfolg von Oliver ist beeindruckend, so wurde er drei Jahre in Folge Welttorhüter, Mann des Jahres im Deutschen Fußball 2001, 5 mal bester Bundesliga-Torhüter sowie 2. bei der Wahl zum Welt-Fußballer des Jahres 2002. 

Außerhalb des Fußballplatzes veröffentlichte Kahn drei Werke, die Autobiografie "Nummer eins" erschien 2004,2008 folgte "Ich. Erfolg kommt von innen," bevor 2010 das Jugendbuch "Du packst es! Wie du schaffst, was du willst" veröffentlicht wurde. Alle drei stehen auf der Liste der Rudbildung-Redaktion ganz weit oben für die nächsten Semesterferien. Doch dies ist alles passe, Oliver Kahn ist mittlerweile "einer von uns," nämlich Student.

Ende Februar schloss Kahn das General-Management-Studium an der Privatuniversität Schloss Seeburg bei Salzburg ab und wird nun seinen MBA (Master of Business Administration) entgegennehmen (der Master of Business Administration ist ein wissenschaftlicher Abschluss in allgemeiner Unternehmensführung). Kahn urteilte über das Studium folgendermaßen:

"Nach zwei interessanten und intensiven Jahren habe ich mein Studium nun abgeschlossen und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.“ 

Irgendwie eine amüsante Vorstellung, Oliver Kahn tauscht Handschuhe mit Kugelschreiber und Fußball mit Notizblock aus. Dabei ist er ist wahrlich nicht der erste, er reiht sich ein in eine Reihe von ehemaligen Studenten ein. Oliver Bierhoff hat BWL an der Fernuniversität Hagen studiert, Thomas Ernst, Studieninstitut IST eine Ausbildung zum Sportmanager absolviert. Beide arbeiten heute im Fußball. Doch Kahn ist anders, reflektierter, er sucht er die Herausforderung: 

"Ich will bewusst auch etwas anderes machen. Nur Sport ist auf Dauer geistig nicht fordernd genug."

Interessante Worte von jemandem, der in seiner Karriere eigentlich alles erreicht hat. Doch fliegen, beißen, schütteln, grätschen, fausten ist nicht mehr. Das ist der alte Kahn. Der neue Kahn trägt Baumwollpulli und Jeans und hat einen Schreibtisch der voll mit Unterlagen ist.  Es geht nicht mehr um Tore und Titel, sondern um Thesen. Den einzigen Titel, den kann man momentan verzeichnen kann ist Master of Business Administration und eventuell in einigen Jahren Dr. Oliver Kahn, falls er promovieren sollte. 

Sollte Kahn irgendwann promovieren würde er sich in eine kleine illustre Reihe von Fußballern einreihen, die einen Doktor-Titel haben. Wir konnten nach langer Recherche nur Hans-Josef Kapellmann (von 1968-1981 aktiv für Aachen, Köln, Bayern und Lokalrivale 1860) und Peter Kunter (Freiburg und Frankfurt zwischen 1961-1976) finden. Kappellmann ist heute praktizierender Orthopäde, während Dr. Kunter bis zur seiner Pensionierung im Jahre 2005 als Zahnarzt arbeitete. Doch zurück zu Oliver.

Das interessante am Studenten Kahn ist nicht nur das Studium, sondern auch wie er über seine Beweggründe reflektiert. Nach der Karriere hätte er einen Job beim FC Bayern kriegen können oder Jugendtrainer der Nationalmannschaft werden, sogar Manager vom FC Schalke, die ihm in Sommer 2009 als neuen Manager verpflichten wollten. Doch Kahn sagte ab, er wollte alles erstmal sacken lassen:

"Im ersten Jahr nach der Karriere ging es darum, mit dem neuen Leben klarzukommen, und nicht in ein Loch zu fallen. Das zweite gilt der Orientierung, was möglich ist. Und im dritten Jahr sieht man dann vielleicht, wohin es konkret gehen wird."

Gerade wie Kahn sich über den schnellen Einstieg im Profifußball nach dem Karriereende äußerte sollte den Verantwortlichen von Schalke 04 zu denken geben:

"Die Vorstellung, ich war mal ein großer Fußballer, also bin ich auch ein großartiger Manager, funktioniert nicht. Dafür sind die Anforderungen in der heutigen Welt zu komplex geworden."

Was sagt dies über die Macher von Schalke 04 aus, wenn Kahn sich selber nicht qualifiziert genug für so den Job als Sportdirektor hält? Kahn äußert sich hierzu folgendermaßen:

"Das wäre definitiv zu früh für mich gewesen. Sie müssen sich erst einmal sammeln, bevor Sie neu starten können. Den Fehler machen viele Sportler: Sie stürzen sich möglichst bald in eine neue Aufgabe, weil sie Angst haben vor der Langeweile und dem Nichtstun." 

und weiter:

"Man darf nicht glauben, nur weil ich mal gut im Tor gestanden habe, mach ich jetzt irgendein Geschäft auf, und dann läuft das einfach so."

Ein Schlag ins Gesicht für die Macher auf Schalke. 

Statt Schalke also lieber Studium. Auch die nächste Aussage vom Titan kann man als Spitze gegen die Gelsenkirchener auffassen, antwortet Kahn auf die Frage ob er den MBA nur absolvieren würde um später einen Job im Profifußball zu erlangen, folgendermaßen:

"Wahrscheinlich ist dieser Abschluss hierfür nicht notwendig. Aber diese Antwort verweist ja auf eine eher fragwürdige Jobvergabe-Praxis in dieser eigentlich hochprofessionellen Fußballbranche. Es gibt so viele Trainer, die eine enorme Fachkompetenz haben, den Spielern ihr Wissen aber nicht vermitteln können. Bei derartigen Posten müsste einfach mehr darauf geachtet werden, was jemand noch zu bieten hat, außer dass er mal Fußballer war. Soziale und Fachkompetenzen sollten genauso vorhanden sein wie Methoden- und Managementfähigkeiten. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sicher wird man bei mir keinen großen Wert auf einen MBA legen. Mir macht dieses Studium Spaß, und ich verstehe es als Verbreiterung meiner Basis."

MBA statt S04- doch was macht Oliver denn genau? Schauen wir mal, was er selber sagt:

"Der MBA ist ein semivirtuelles Studium. Das heißt, 15 Tage pro Semester bin ich vor Ort an der Uni in Salzburg, den Rest der Zeit nutzen wir Studenten eine hochmoderne Internetplattform. Dort wird der Stoff bereitgestellt, den man sich erarbeiten muss. Außerdem kann man darüber mit den Kommilitonen und Dozenten kommunizieren oder auch in Gruppen." 

Der Student Kahn sitzt also nicht von morgens bis abends in der Universität, genau wie er auch nicht stundenlang jeden Tag lernt:

"Ich habe mir kein bestimmtes Quantum auferlegt. Vielleicht wäre es vernünftig, kontinuierlich vormittags zwei und nachmittags zwei Stunden den Stoff durchzugehen. Aber ich richte mich eher nach den Abgabeterminen für die Studienarbeiten. Es gibt also intensivere und weniger intensive Phasen."

Ist der MBA  also ein sehr theoretischer Master? Die Antwort ist nein, da Kahns Fokus auf "angewandtem Management" liegt. Dies beinhaltet folgendes:

"MBA ist es gefragt, sich umfangreiche Themengebiete zu erarbeiten und diese dann am realen Beispiel darlegen zu können. Wenn ich mich beispielsweise mit Change Management beschäftige, also der Veränderung in Unternehmen, bringt es doch nichts, nur Theorien zu kennen. Viel wichtiger ist es, zu analysieren, wie man als Manager beim Umbau eines Unternehmens vorgehen kann. Ich habe gerade eine Studienarbeit – 60 Seiten lang – über Change Management am Beispiel von Puma geschrieben und mich dabei gefragt: Wie hat es Puma geschafft, von einem Unternehmen, das am Boden lag, zu einem der begehrtesten Sportartikelhersteller der Welt zu werden?"

Diese Arbeit würde uns übrigens außerordentlich interessieren, vielleicht sollten wir Oliver mal schreiben?

Wie verhält es sich denn mit dem lernen, fliegt dem Titan das Wissen nur so zu?

"Ich hatte zum Glück schon immer die Fähigkeit, das Wesentliche aus Texten filtern zu können. Trotzdem sitze ich natürlich manchmal da und denke: Um Gottes willen, was mache ich jetzt mit diesem Berg von Stoff? Wo fange ich an, wo höre ich auf? Aber die Präsenzphasen in Salzburg helfen dann immer bei der Einordnung."

Kahns Werdegang zeigt auch eine der oft vergessenen Aspekte des Profifußballs auf. Viele Fans denken, dass das Leben als Fußballer eine einzige Sause ist und man in den 20 Jahren die man circa als Profi hat finanziell aussorgt und sich dann mit 35-40 einen schönen Lenz macht. Doch dies ist nicht der Fall. Kahn wusste dies, urteilte er früh in seiner Karriere "jeder Profisportler sollte sich so gut wie möglich auf ein Leben nach der Karriere vorbereiten."

Als die Karriere dann zu ende war und Kahn auf den Golfplätzen dieser Republik zu finden war, und nicht mehr in den Stadien, merkte er schnell, das dieses Leben nichts für ihn ist:

"Ich habe nach meinem Karriereende zunächst viel gegolft. Aber nach einer gewissen Zeit entwickelte ich schnell wieder das Interesse, etwas zu bewegen. Heute golfe ich kaum noch. Mir fehlt die Zeit."

Der Ehrgeiz des Titans war also nicht verschwunden. Vielleicht war es auch die Gewohnheit, denn gerade das Problem los zu lassen fiel dem ehemaligen Welttorhüter schwer:

"Verdammt schwer. Du beherrscht eine Sache richtig gut und dann sollst du diese Profession aufgeben zu einem Zeitpunkt, an dem andere Karrieren meist erst losgehen."

Auch Kahn hatte mit dieser plötzlichen leere zu kämpfen: 

"Da war schon Leere. Und die ist nicht gerade leicht auszuhalten. Ich war zuvor immer rund um die Uhr verplant - Training, Spiele, Termine. Und dann plötzlich nichts mehr. Das ist hart. Aber es bleibt einem nicht erspart. Das Beste ist, eine Pause einzulegen und zu versuchen, nichts zu tun, auch wenn es schwer fällt."

Die geistige Leere ist aber nicht die einzige Herausforderung für einen ehemaligen Profisportler, auch die physische ist nicht zu unterschätzen:

"Das fällt anfangs sehr schwer. Der Leistungssport ist eine Beschäftigung mit viel Adrenalin, mein Gehirn war über Jahre hinweg voll auf Konzentration getrimmt, mein Körper auf Höchstleistung. Und dann soll man plötzlich gemütlich frühstücken, zu Hause sitzen und überlegen, was das Leben noch so bringt. Da kommen ganz schwere Momente. Zudem spielt der Körper verrückt. Ich bin beispielsweise mitten in der Nacht aufgewacht und joggen gegangen, weil mein Körper das brauchte. Ich war wie auf Drogenentzug."

Natürlich darf man hier nicht vergessen, dass man als Ex-Fußballer privilegiert ist im Gegensatz zu den meisten anderen Rentnern, was Oliver auch richtigerweise hervorhebt:

"Wir Sportler können neu anfangen, müssen es sogar. Mit 65 ist der Abschied vom Berufsleben endgültiger. Da fällt es schwerer, sich eine neue Vision zu suchen."

Auch der Faktor Geld wird von vielen erwähnt, so nachdem Motto "wieso tut sich ein Oliver Kahn das an, der hat doch genug Geld" - doch es ist wie schon im Fußball der Ehrgeiz der den Titan antreibt, die Neugierde und der Wille:

"Geld steht nie am Anfang einer großen Karriere. Oder meinen Sie, Bill Gates hat an Geld gedacht, als er in seiner Garage angefangen hat? Die Jungs hatten eine Idee im Kopf, eine Vision. Geld spielt erst eine Rolle, wenn die Begeisterung nachlässt, die Geinen anfangs treibt. Ich stehe jetzt wieder am Anfang, voller Energie."

Kahn fühlt sich wohl in seinem neuen Leben indem die Gesprächsthemen wesentlich tiefgründiger sind als in der Fußballwelt:

"Damals ging es doch immer nur um Fußball. Darüber reden wir an der Uni gar nicht. Wir reden über alles andere. Im wahrsten Sinne über Gott und die Welt. Nur nicht über Fußball."

Ein Oliver Kahn, der sich nicht mehr 24-7 mit Fußball beschäftigt - für viele eine Illusion. Wir mögen den neuen, reflektierten Studenten Oliver Kahn und können nur hoffen, dass er ein gutes Beispiel für viele seiner Kollegen sein wird. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel würde sich sicherlich freuen, fehlen Deutschland doch heute schon tausende Hochqualifizierte Arbeitskräfte.






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