Sonntag, 1. Juli 2012

Von "uns stoppt keiner mehr" zu "Luxusversagern" - die deutsche Nationalmannschaft in der Medienlandschaft

Wer sich regelmäßig mit Medien, besonders Boulevardmedien, beschäftigt kann eigentlich selten überrascht werden. Die öffentliche Wahrnehmung wechselt schneller als Unterhosen (bei den meisten Medien und Unterhosenträgern) und die Doppelmoral ist ebenfalls gänzlich bekannt. Was sich jedoch in den letzten Tagen nach dem (hochverdienten) Halbfinalaus gegen Italien abgespielt hat erreicht ungeahnte höhen. Ein Kommentar.

Uns stoppt keiner mehr

Was konnte man in den Medien nicht lesen, nachdem die DFB-Elf die Griechen mit 4:2 geschlagen hatte: Die BILD titelte "uns stoppt keiner mehr" und gerade der deutsche Bundestrainer wurde von der mächtigen Tageszeitung gefeiert, da "der Löw Mut belohnt wurde." Die ganzen dämlichen Sprüche zum finanziellen stand der Dinge in Griechenland will ich hier kann nicht wiederholen, dann muss ich mich nämlich übergeben.

Doch innerhalb von einer Woche wurde aus einer Mannschaft die gerade noch als unschlagbar tituliert wurde eine "Versager-Elf." Und erschreckenderweise springen viele auf diesen Zug auf.

Viele werden hervorheben, dass die BILD nichts mehr als ein großer Haufen Schund ist, dessen Zeitungen man am liebsten verbrennen sollten. Das man in Deutschland allerdings keine Zeitungen und Bücher mehr verbrennt sollte man hoffentlich nicht mehr betonen müssen, in Anbetracht der deutschen Vergangenheit. Schlimmer noch geniert die BILD Meinungen, frei nach dem Motto der Zeitung des Axel Springer Konzerns. Ich kann dies auf jeden Fall mit einem simplen Blick auf meinen Facebook Account bestätigen. Und da läuft es mir doch kalt den Rücken runter.

Wiederholt Geschichte sich doch?

Generell ist es in Deutschland kein Neuland eine deutsche Nationalmannschaft abzuschreiben, in extremen Fällen sogar zu begraben.

So erging es der DFB-Elf als man bei der EM 2000 sang und klanglos in der Vorrunde ausschied, in einer Gruppe mit Rumänen, England und Portugal mit einem kümmerlichen Punkt und 1:5 Toren, und etwas ähnliches spielt sich auch jetzt ab. Genau wie damals macht die BILD fleißig Stimmung gegen den Bundestrainer - eine absurde Situation.

Und auch auf die Mannschaften wird fleißig eingedroschen: Waren sie 2000 noch "die National-Elf der Schade", so sind es 2012 die "Luxus-Versager," die vom DFB auch noch verhätschelt werden. Wenn man keine anderen Anschuldigungen mehr findet kann man immer den Neidfaktor ausspielen, zieht zumeist. Diese Stimmung schlägt sich auch in der Bevölkerung nieder. Der Blogger Stefan Niggemeier hebt dies sehr gut hervor:

"Ich schätze, es ist auch Ausdruck eines Selbsthasses, der durch die nicht mehr auflösbare Vieldeutigkeit des Begriffes »wir« dramatisch verschärft wird. Wenn »Bild« in diesen Zeiten »wir« schreibt, kann das »Bild«, »die Deutschen« oder »die deutsche Nationalmannschaft« meinen.
 Aus der Sicht der »Bild«-Leute bedeutet das: Wenn wir uns attestiert haben, dass wir unschlagbar sind, und wir dann doch geschlagen werden, bedeutet das für uns eine doppelte Niederlage, die wir uns ganz besonders übel nehmen.
Die »Bild«-Leute müssten sich verfluchen für den eigenen Rausch, für die grotesk übertriebenen Erwartungen und hysterischen Lobeshymnen. Stattdessen verfluchen sie die Mannschaft, weil sie nicht in der Lage war, diesen Übertreibungen gerecht zu werden. Plötzlich sind die Schuld, dass wir verloren haben — und »Bild« rechnet mit ihnen ab." (Der ganze Artikel, der sehr lesenswert ist, findet sich hier )


Also wird fleißig auf die ehemaligen Helden eingedroschen: Mats Hummels, vor einigen Tagen angeblich noch der beste Spieler der EM und sowieso der Held der deutschen Medien (und besonders der BILD) wird jetzt zu Schmatz Fummels, der immerhin knutschen kann

Ähnlich verhält es sich mit Kapitän Lahm, der jetzt wie ein schlechter Politiker labbert, Bastian Schweinsteiger wird vom gefeierten Helden aus dem Holland Spiel zu "Schweini bleibt Schweni, Chef wird er nie," während Podolski am besten sofort in "DFB-Rente" geht. Am meisten greift die BILD jedoch Mario Gomez an, der während der Vorrunde übrigens noch "Geil, Geiler, Gomez" und "Gigant Gomez" war, ist jetzt jemand, der nur noch "die Haare schön hat." 

Fußball und die deutsche Nation ist für die BILD eben wie eine leidenschaftliche Beziehung: Läuft es einmal nicht so gut, und man trennt sich, wird auf hässlichste Art und Weise nach getreten. Und in diesem Augenblick solltest auch du, lieber Leser, mal überlegen, ob du dich hier auch nur im geringsten wiederkennst. Hoffentlich nicht.

Kritik ist erwünscht, aber sachlich bitte

Es ist trotzdem wichtig festzuhalten, dass Kritik in keinster Weise fehl am Platz ist. Ja, Deutschland war unglaubliche 16 Spiele ungeschlagen und spielt klasse Fußball, der viele Sympathien mit sich bringt, aber man ist genauso seit 16 Jahren ohne Titelgewinn. 

Dies muss natürlich analysiert werden und eine solche titellose Serie ist für eine große Fußballnation wie Deutschland unbefriedigend. Allerdings muss man hier hervorheben, dass es anderen Nationen wie den Franzosen und Engländern nicht anders ergangen ist.

Ebenso ist es ein Fakt, dass Löw sich im Halbfinale mit seiner Aufstellung verzockt hat, jedoch kann man ihm nicht vorwerfen, dass Hummels sich vor dem 0:1 mit einem Bauerntrick vernaschen lässt und Badstuber im Halbfinale generell öfters orientierungslos wirkte. Dies sieht eine Mehrheit der deutschen laut einer Umfrage anscheinend nicht so und kreidet Löw das Ausscheiden persönlich an. Auch hier grämt man sich wieder zutiefst.

Lothar Matthäus hat insofern recht, wenn er hervorhebt, dass

"Seit sechs Jahren, also der WM 2006, wird von einer Entwicklung der Nationalmannschaft gesprochen. Doch Deutschland ist eine Fußballernation und muss sich an Titeln messen lassen. Unsere Mannschaft hat Qualität. Aber in den Spielen, in denen man weiß, dass sie den Status eines Endspiels haben, hat sie sich wieder nicht durchsetzen können. Wir haben jetzt zweimal gegen Spanien und zweimal gegen Italien verloren – es kam viermal hart auf hart, und viermal haben wir den Kürzeren gezogen. Man kann diese Spiele ja nicht mit dem Halbfinale von 2008 vergleichen, als wir gegen die Türkei klarer Favorit waren. Sobald wir gegen eine starke Mannschaft antreten, die ein sehr starkes Turnier gespielt hat und viel Qualität besitzt, sind wir bisher immer ausgeschieden."


Ebenso stimme ich Thomas Berthold auch soweit in seiner Analyse zu, dass 

"Außerdem haben wir keinen richtigen rechten Außenverteidiger. Lahm wird immer hin- und hergeschoben. Das kann nicht die Lösung sein und ist auch ein Thema, das jetzt dringend bearbeitet werden muss."

Dieses Problem hatte ich schon öfters hervorgehoben, und ich bin auch weiterhin der Meinung, dass ein Boateng nicht das nötige Niveau als Rechtsverteidiger besitzt und die Alternativen Mangelware sind. 

Ein weiterer Aspekt ist Bastian Schweinsteiger, der bei dieser EM (vielleicht nicht 100% fit, das weiß sicherlich keiner von uns "Bundestrainern" so genau) oft enttäuschte. Dies ist eine faire Kritik, jedoch halte ich es hier mit Arnd Zeigler:

"Wer jetzt Spieler wie Schweinsteiger, Gomez oder Lahm hinstellt wie hoffnungslose Nulpen, die einfach zu schlecht sind - wer nicht ein Grundmaß an Respekt dafür aufbringen kann, wie ein Sportler (= Mensch) funktioniert, der liebt in Wirklichkeit nicht den Fußball, sondern setzt sich bräsig vor die Glotze und will ein möglichst gutes Preis-Leistungsverhältnis, und so einen blöden Europameistertitel kann man doch schon mal voraussetzen."

Es sollte auch in den Köpfen der Fußballfans ein Umdenken einsetzen, Karl-Heinz Förster zeigte nach dem Spiel richtig auf: 

"Man hatte vor dem Spiel den Eindruck, dass wir Italien ja eigentlich schon geschlagen haben, zumindest haben das einige Aussagen aus den Pressekonferenzen vermittelt."

Eine gewisse Arroganz ist okay, doch der steigende Patriotismus wurde zu Recht von der ZEIT und der Soziologin Dagmar Shediwy kritisiert, und macht mir Sorgen, da 

"der Fußball für die Fans gar nicht so sehr im Vordergrund stand. Viel wichtiger war das Gemeinschaftserlebnis. Gefühle von Zusammenhalt und Zugehörigkeit, die sie offenbar im Alltag vermissen."
Die Konsequenzen sind bedenklich:

"während der Turniere zeigten sich Anzeichen verstärkter Fremdenfeindlichkeit. Es sei in dieser Zeit, und nur in dieser Zeit, völlig akzeptabel, die Mannschaft und das Land des Gegners zu beschimpfen. Das ist nicht schwer zu erklären. Sozialpsychologisch, schreibt Schediwy, sei der Stolz auf die eigene Gruppe immer mit der Abwertung anderer Gruppen verknüpft."
In genau dieses Register greift auch die BILD Zeitung in ihrer Berichterstattung, die nun Köpfe rollen sehen will, da man den die deutsche Nation angeblich enttäuscht hat. Wie der wunderbare Zeigler wieder richtig hervorhebt

"Wenn ich mal eben offen reden darf: Dieses unglaubliche Rumgeflenne überall über die Niederlage gegen Italien ist erbärmlich und unwürdig. 
Wer jetzt so tut als seien die deutschen Spieler nach der ersten Niederlage nach 16 Siegen hintereinander (oder wieviele waren es?) plötzlich alles Vollpfosten, Totalversager und Nullen und ihr Trainer ein Nichtskönner, der hat den Fußball nicht mal im Ansatz verstanden. 
 Wer es nach Siegen gegen Portugal, Holland, Dänemark und Griechenland nicht ertragen und akzeptieren kann, dass andere an manchen Tagen vielleicht einfach mal besser sind, der sollte möglicherweise Sport ganz allgemein meiden."

Ebenso kann ich nur zustimmen, dass die Diskussion zu den Gründen des Ausscheidens, laut BILD konnte man ja schon beim singen der Nationalhymne sehen, dass Deutschland verlieren wird, an den Haaren herbei gezogen sind und es einfach nur noch peinlich ist:

"Das Gerede von unserer angeblich „zu netten“ Elf und den fehlenden Schweinehunden ist eine populistische Scheißdebatte ohne jeden Nährwert. An irgendwas muss es jetzt liegen, weil es so schwer zu ertragen ist, dass da einfach jemand an einem Abend ganz banal etwas besser Fußball gespielt hat. Und deshalb werden jetzt solche Kackthesen an den Haaren herbeigezogen."

Wie es wohl geklongen hätte, wenn Deutschland gewonnen hätte? BILD hätte wohl getitelt "deutsche Jugend überrollt italienischen Opas: Der Absturz des Andrea Pirlo."

Deswegen will ich mit einem Zitat von Zeigler abschließen, der vollkommen zu recht aufzeigt, wie sehr unsere (und die der BILD) Erwartungshaltungen und unserer Realitätssinn in Zeiten wie diesen vollkommen aus den Fugen gerät:

"Es ist wirklich interessant zu beobachten, dass es für ein Abschneiden wie diesmal bei der BILD (und überraschenderweise auch bei vielen Fußball-Konsumenten) gar keine Kategorie mehr gibt.
Es gibt nur "Europameister" oder "Vollversager". Die merken gar nicht, dass Deutschland vorher Portugal, Holland, Dänemark und die Griechen geschlagen hat, mit zum Teil phantastischem Fußball.
 Das alles rechtfertigt jetzt scheinbar einen Frontalangriff auf die Würde der Spieler. 2004 haben wir gegen Tschechiens B-Mannschaft verloren, gegen Lettland unentschieden gespielt und sind sieglos in der EM-Vorrunde gescheitert. Unsere Mannschaft diesmal wird von der BILD exakt genauso behandelt wie die Mannschaft damals. Ich glaube, wenn man die Schlagzeilen der BILD in England, Holland, Frankreich oder Argentinien liest, lacht man sich tot über die Art und Weise, wie hier mit der Leistung der deutschen Elf umgegangen wird."

Es wäre zum lachen, wenn es nicht so verdammt traurig war. Denkt drüber nach, liebe Leser.

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